Chatting with Dubliners
Foto: Valérie-Cathérine Albrecht
Sie hat etwas mehr als eine halbe Millionen Einwohner, ihre Sommer sind kühl und ihre Menschen gelten als freundlich. Letzteres hat laut der Irish Times sogar eine Umfrage von Condé Nast Traveler bestätigt: Dublin, die Stadt, von der hier die Rede ist, ist der drittfreundlichste Ort auf Erden. Noch freundlicher sind nur die Menschen in Sydney (Platz 2) und im amerikanischen Charleston (Platz 1). Über 100.000 Leser sollen an der Umfrage teilgenommen haben.
“There’s always a smiling face to talk to” – es gibt immer ein lächelndes Gesicht, das man ansprechen kann. Sagt einer der Leser über Dublin. Hätte ich das doch schon vergangenene Woche gewusst. Dann nämlich, als ich stundenlang um Menschen in der Dubliner Innenstadt herum geschlichen bin, sie ansprechen wollte. Mich lange nicht dazu überwinden konnte. Ich bin vor Lampenfieber fast gestorben.
Kurz zuvor hatte ich mir ein neues Blogprojekt ausgedacht. Dafür wollte ich an verschiedenen Plätzen der Welt wildfremde Menschen ansprechen und sie für Kurzporträts interviewen. Sie über nichts Geringes befragen, als über das Leben selbst. Wie sehen Sie die Welt? Was ist Ihr größter Traum? Wovor haben Sie am meisten Angst? Solche oder ähnliche Fragen wollte ich stellen. Soweit zur Theorie.
In der Praxis aber war ich ein Angsthase. Doch nach etwa knapp zwei Stunden voll quälender, innerer Monologe und einem gedanklichen Strategiewechsel (statt Einzelpersonen lieber Menschen in Gesellschaft ansprechen) bin ich endlich über meinen eigenen Schatten gesprungen. Nach längerer Beobachtung und in der Erwartung einer freundlichen, aber bestimmten Absage habe ich zwei junge Männer angesprochen. Mutprobe bestanden.
Die beiden Iren saßen vor einem vegetarischen Restaurant an der Wicklow Street, tranken Kaffee in der Nachmittagssonne und unterhielten sich angeregt miteinander. Mit hochroten Wangen und zitternder Stimme bin ich an ihren Tisch getreten und und habe in raderechendem Englisch etwas von meiner Blogidee zusammengestottert. Einem Projekt, das gerade noch in den Geburtswehen lag.
Und was ist passiert? Die beiden Mittzwanziger, Sean und Naoise, haben alle meine Erwartungen übertroffen. Sie waren offen, freundlich und interessiert. Wir haben über Bildung, Politik und über den Sinn des Lebens geredet. Aus meinem Wunsch wurde Wirklichkeit.
Jetzt wünschte ich nur noch, die Menschen wären alle so wie Sean und Naoise. In Dublin und anderswo.